TV-Duelle in den USA

von Dr. Michael Wehner, veröffentlicht am 13.10.2016 in The Huffington Post.

Über die Faszination für ein politisches Fernseh-Format

84,1 Millionen Zuschauer*innen - so viele Amerikaner wie nie zuvor - haben am 26. September 2016 das erste Fernsehduell zwischen Hillary Clinton und Bill Trump gesehen. Es gibt wohl kaum ein amerikanisches Medienformat, das so erfolgreich exportiert wurde, wie das der Fernsehduelle.

In mehr als 75 Ländern - sogar im Iran, Afghanistan oder Ägypten - werden trotz unterschiedlichster politischer Systeme solche verbalen und visuellen Schlagabtausche durchgeführt. Manchmal durchaus im eigentlichen Sinne des Wortes. In Aserbaidschan wurde 2013 tatsächlich einer der Bewerber um das Präsidentenamt von einem Konkurrenten mit einer Wasserflasche beworfen.

Die Geschichte und der Mythos der wahlentscheidenden Fernsehduelle beginnen in Chicago. Ein gebräunter, schlagfertiger, gut aussehender Senator John F. Kennedy trifft auf einen müden, unrasierten, schwitzenden und lustlos wirkenden Vizepräsidenten und Kandidaten der republikanischen Partei mit Namen Richard Nixon.

Mehr als 70 Millionen Zuschauer*innen sehen bei diesem visuellen und verbalen Schlagabtausch zu, wie es dem jungen Senator aus Massachusetts gelingt, die Herzen und Wählerstimmen zu erobern. Der 26.09.1960 ist auch der Tag, an dem das Fernsehen die Zeitung als wichtigstes politisches Massenmedium ablöst. 1980 sehen mehr als 80 Millionen Zuschauer*innen das Vorstellungsgespräch von Jimmy Carter und Ronald Reagan vor dem amerikanischen Fernsehvolk.

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Fernsehduelle bedienen das Prinzip der persönlichen Performanz statt der politischen Programmatik

Bis zum ersten Clinton-Trump-Fernsehduell vor wenigen Tagen waren die Einschaltquoten rückläufig. Sahen 1960 noch 60% der Wahlberechtigten die Debatte, waren es 2012 gerade noch 28%. Im Zeitalter von Twitter und Facebook schien das Format seinen Zenit überschritten zu haben.

Die Kritik gegenüber diesen "politischen Schönheitswettbewerben" und Pseudo-Events ist und war zahlreich. Der Erinnerungswert an frühere Debatten ist gering. Der zu häufige Einsatz des Formats in diesem Jahr - 13 Fernsehduelle mit bis zu zehn Kandidaten bei den Republikanern und sechs bei den Demokraten in den Vorwahlen - sorgt für entsprechende Abnutzungserscheinungen.

Bei aller Relevanz für die Öffentlichkeit bedienen Fernsehduelle das Prinzip der persönlichen Performanz statt der politischen Programmatik. Oftmals achten die "politischen Topmodels" mehr auf rhetorische Eleganz als auf inhaltliche Substanz. Schlagfertigkeit zählt mehr als Sachkenntnis. Der Auftritt wird wichtiger als das Argument, was sich in Deutschland an der Krawatten- oder Halskettenfrage manifestiert hat.

Für einen Abgesang auf dieses Format war es allerdings zu früh. Denn diese direkten Kandidatenvergleiche und Job-Interviews vor der Fernsehnation sind bis heute das letzte große Mobilisierungselement in der Endphase von Wahlkämpfen. Das Interesse hat sich teilweise nur in andere Medien verlagert.

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Das Live-Urteil der Online Communities

Nicht mehr erst nach, sondern bereits während des Showkampfes versuchen die beiden Lager (mit Hilfe vorgefertigter Mails und Tweets, gekaufter Werbeanzeigen, professioneller Kampagnen und teurer Medienpräsenz) die Deutungshoheit über das Duell zu gewinnen.

So wurden während der ersten Debatte zwischen Barack Obama und Mitt Romney 10,3 Millionen Tweets verfasst und allein als es um das umstrittene Thema Krankenversicherung ging, wurden 150.000 Tweets pro Minute auf Twitter verschickt. Und auch dieser Rekord wurde 2016 noch einmal überboten: Mehr als 17,1 Millionen Interaktionen von mehr als 2,7 Millionen Menschen wurden von Twitter registriert, während sich Clinton und Trump duellierten.

Bereits bei der Wahl 2012 haben bis zu 65 Prozent der Zuschauer*innen die Debatte nicht mehr nur allein am Fernsehschirm, sondern auch mit dem Handy und dem Tablet verfolgt, um ihre Kommentare und Instant-Urteile zu veröffentlichen ("second screen Phänomen"). Es kommt also immer weniger auf die Bewertung durch die Chefredakteure von Zeitungen am Tag danach an, sondern mehr und mehr auf das Live-Urteil der online communities.

Die Debatten in Fußballspiellänge sind nach wie vor ein kollektives Element einer politischen Inszenierungskultur mit seltenen Dramamomenten: Wer hat gewonnen, wer hat gepatzt? Wie berichten die Onlinemedien über das Event?

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Zeitalter der Echtzeit-Kommunikation

Medienberater*innen und "Spin Doktoren" brüten monatelang über den Auftritt ihres Kandidaten und ihrer Kandidatin: Welcher Slogan, welche Geschichte sorgt für eine Anschluss-Story, welche Losung taugt zum Schlüsselsatz, der via Twitter und Facebook lawinenartige Ausbreitung findet und von den Leitmedien aufgegriffen wird?

Im Zeitalter der Echtzeit-Kommunikation stehen die Kandidat*innen unter besonderer Beobachtung und erhöhtem Druck: Kenne ich die Fakten und Zahlen? Welcher Schnitzer wird vom Gegner aufgegriffen? Wo gebe ich mir eine Blöße, mit welcher Geste, welcher Körperhaltung, mit welchem Versatzstück mache ich mich angreifbar oder gar zum Gespött der Nation?

Auch wenn bislang noch nie ein*e Kandidat*in komplett versagt hat, waren die Patzer immer wieder Gegenstand von Überlegungen, ob diese Patzer nicht Grund für die Niederlage eines Kandidaten bzw. einer Kandidatin waren. Unvergessen ist in den USA, wie US-Präsident Gerald Ford 1976 in der Debatte behauptete, es gäbe keine Dominanz der UdSSR in Osteuropa.

George Bushs gelangweilter Blick auf die Armbanduhr 1992 oder als 2011 dem republikanischen (Vorwahl-)-Kandidaten Rick Perry das dritte Ministerium nicht mehr einfiel, das er abschaffen wollte, sind weitere solcher medialen Missgeschicke.

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Auf- und Ausbau politischen Wissens

In der Politikwissenschaft gilt mittlerweile als gesicherte Erkenntnis, dass die Rezeption von Fernsehduellen zum Auf- und Ausbau politischen Wissens führt. Die Formate erreichen politikfernere Zuschauer*innen, die Wissenslücke zu gebildeteren Wählenden wird reduziert. Die größte Wirkung haben TV-Debatten auf unentschiedene Zuschauer*innen und parteiungebundene Wechselwähler*innen kurz vor dem Wahltag.

Interessant ist der Befund, dass vor allem politisch Interessierte, die mit einer Partei bzw. einem Kandidaten sympathisieren, am wenigsten zugänglich für die Argumente der Bewerber sind, da sie ihre vorgefertigten Meinungen bestätigen sehen wollen ("Perceptual Screen Phänomen").

Für die Zuschauer*innen sind diese politischen Schaukämpfe die attraktivsten Politiksendungen im Wahlkampf, die mit überschaubarem Zeitaufwand einen direkten Kandidatenvergleich ermöglichen. Sie sind das zentrale Medienereignis des gesamten Wahlkampfs, sind ein hochargumentatives 90-Minuten-Destillat des gesamten Wahlkampfes, das die Grundaussagen und Unterschiede der Kandidat*innen verdeutlicht.

Der kompetitive Charakter des Formats, der verbale Schlagabtausch des "politischen Pferderennens" hat hohen Unterhaltungswert und erinnert an Sportereignisse mit Gewinnern und Verlierern. Noch in der letzten Minute kann das entscheidende (Eigen-)Tor verbal geschossen werden. Fernsehduelle sind zwar nicht wahlentscheidend, aber ein wichtiges Instrument zur Mobilisierung von Wählerinnen und Wählern.

Das Sendeformat senkt die Informationskosten für die Bürgerinnen und Bürger, die sich zeitökonomisch eine Meinung bilden wollen. Fazit: Duelle und Debatten mobilisieren hauptsächlich die eigenen Anhänger*innen und können am ehesten unentschiedene Zuschauer*innen in ihrer Wahlabsicht beeinflussen. Sie haben aber das Potenzial, Einstellungen und prinzipiell Wahlverhalten zu beeinflussen: Debating matters.

Die empirische Analyse eines Debattenverlaufs, sozusagen das EKG eines Fernsehduells gehört zu den am stärksten vernachlässigten Gebieten der Politikwissenschaft. Die Albert-Ludwigs-Universität Freiburg entwickelt derzeit in Zusammenarbeit mit der Landeszentrale für politische Bildung ein easy-voting-tool, das Debat-O-Meter, mit dem eine Live-Analyse politischer Diskussionen und Debatten möglich ist und das auch bei einer Veranstaltung zum dritten US-Fernsehduell am 19.10.2016 in der Freiburger Mensa-Bar zum Einsatz gekommen ist.

Text von Dr. Michael Wehner, veröffentlicht am 13.10.2016 in The Huffington Post.

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